21. August 2016

Fondaco dei Tedeschi spielt demnächst auf dieser Bühne

März 2016
Am 30. September soll der neue Luxusmarkt DFS (Mieter des Betreiberkonzerns lvmh) im Fondaco dei Tedeschi eröffnet werden. Die Information ist über 2 Monate alt, sie wurde nicht wiederholt und nicht dementiert, aber meine Hand ins Feuer legen würde ich für die Richtigkeit nicht. Vielleicht wird es auch Oktober...

Ich hüte mich in den letzten Monaten, den Fuss in die Nähe des Baustellenkessels am Rialto setzen. Neben der Renovierung des Fondaco dei Tedeschi (siehe auch Einträge zum Label Fondaco dei Tedeschi) wird auch der Palazzo dei Camerlenghi in diesem Jahr wieder nutzbar sein; die Rialtobrücke selbst (siehe auch Einträge Label Rialto) soll 2017 fertig gestellt werden.  Bis auf Weiteres fahre ich also daran vorbei und nutze je nach Bedarf die Haltestellen Ca' d'Oro, Rialto Mercato, S. Silvestro oder S. Angelo. 

Ich habe wie die meisten von uns das Ergebnis der Umgestaltung zum 'Department Store' (also schlicht das alte Wort 'Kaufhaus'; was ist aus dem Begriff 'Mall' geworden, der einem - plop - aus dem Mund fällt?) bisher nicht mit eigenen Augen gesehen. Dafür erstmal Links für diesen Eintrag gesammelt, denn ohne eigene Anschauung sollte man vorsichtig sein mit Geschmacksäußerungen. Dank der Website des ausführenden Büros OMA und der Ende Mai gestarteten Medienkampgagne gibt es genügend neue Bilder, die offensichtlich zusammen mit einem Pressetext (der gleiche wie auf der Website?) in die Welt gepustet wurden. Sie landeten etwa gleichzeitig in Tages-, Wochen-, und vor allem Fach- und Hochglanzblättern bzw. -netzseiten und die Ergebnisse sind quasi identisch. Überall die gleichen Fotos, überall die gleichen Textbausteine bzw. Stichwörter. 


Markuslöwe über dem Hauptportal des Fondaco dei Tedeschi

Unvollständige Sammlung von Beispielen:
Kann es sein, dass nicht einmal die Fachpublikationen die Chance zu einer kritischen Recherche und Stellungnahme nutzen, sondern ohne Ambitionen frei Haus gelieferte Pressetexte und Fotos veröffentlichen? Ist die Medienkampagne so überzeugend, ist das Büro OMA so einflussreich? Wiegt die Kosteneinsparung schwerer als der redaktionelle Standpunkt?

Es gab aber auch einige Beiträge (und ich habe alle Texte der hier veröffentlichten Links gelesen), die sich nicht allein auf den fertigen Text und den professionellen Eindruck der gelieferten Fotos zu verlassen schienen: 

März 2016

Der Beitrag des Deutschlandradios ist ein Jahre alter Artikel aus dem Archiv, versehen mit einem neuen Datum und ohne aktuellen Bezug. Also bitte!

Der Beitrag von ArchDaily bringt als einziger ein Interview mit einem der verantwortlichen Architekten (Ippolito Pestellini Laparelli), bei dem mich die sachkundigen und kritischen Fragen des Autors Vladimir Gintoff deutlich mehr beeindrucken als die Einlassungen des Interviewten. Denn der liefert wieder die bekannten Textbausteine, die vorgeformten Medienhäppchen, die sprachliche Selbstdarstellung des Architekturbüros OMA. Trotzdem ist das Interview wirklich erhellend, ich empfehle sehr, ihn zu lesen; es beleuchtet außerdem, was an den scheinbar eigenständigeren Beiträgen der AutorInnen in Frame, BauNetz, SZ und FAZ selbst gedacht und was auch nur übernommen wurde. 

Und ich finde: diese Beiträge drücken sich um einen kritischen Standpunkt herum, indem sie den von OMA behaupteten permanenten Wandel durch immer neue bauliche Veränderungen, das sogenannte "Palimpsest", zu einseitig überdenken. Denn dieser 'permanente Wandel' ist das Feigenblatt der Rechtfertigung vor den italienischen Denkmalschutzgesetzen. Und die deutschsprachige quasi akademische Diskussion des angeblich objektiven Mangels von authentischen Strukturen, der jahrhundertelangen permanenten baulichen Eingriffe, der deshalb paradoxen Legalität des Denkmalstatus ist ein Reinfall aufs Marketingkonzept.

Dass die erneuten (und aus dem Interview von ArchDaily zu lesen: nicht revidierbaren) baulichen Eingriffe - trotz Denkmalstatus des Fondaco dei Tedeschi! - die einzig denkbare Bestätigung der historischen wechselnden Bauzustände eines 500 Jahre alten Gebäudes sei, kann man aus meiner Sicht nicht ernsthaft als denkmalorientieres architektonisches Konzept verkaufen, denn welches Gebäude in Venedig wurde in den letzten 1000 Jahren nicht wiederholt verändert, abgerissen, halb abgerissen, der Gotik, Renaissance, dem Barock angepasst, neu gebaut, umgenutzt, aufgestockt, verbrannt, erweitert, verschönert, konvertiert, längerfristig nicht genutzt, aus Ruinen wieder hochgezogen? 

Ganz Venedig ist so gesehen ein 'Palimpsest'. Für mich ist das allerdings kein zulässiger Begriff im Zusammenhang mit einer anderhalbtausendjährigen Stadtentwicklung. Eine sehr schlichte Metapher statt Geschichtsbewusstsein und Respekt vor dem historischen Erbe! 

 Bauentwicklung Rialto 950 bis jetzt  (auf YouTube aufrufen per Klick auf den Text oben links)
Dank an K. H. für den Hinweis auf Venice Time Machine.

Nun, angesichts von 500 Jahren Fondaco dei Tedeschi: auch sein derzeitiger "historischer Bauzustand" wird eines Tages Geschichte sein, es werden neue bauliche Eingriffe kommen. Schon Form und Farbe der Rolltreppen, Ausdruck eines vorübergehenden Geschmacks, werden in wenigen Jahren nicht mehr 'luxuriös' wirken. Für die Dauer der Nutzung als Warenhaus muss im Gewinninteresse der Verkehr im Gebäude beschleunigt werden, gut, und die Dachterasse, angekündigt als offen und frei zugänglich für alle, ist der im Moment wunderbarste Kundenköder in das Gebäude, den man sich denken kann. 

Aber wer weiss, wer oder was nach unserer Zeit kommt;  in 50, 100 oder 150 Jahren dort seinen Raum hat? Eine große europäische, mehrsprachige integrativ-kooperative Universität? Die zentrale europäische Verwaltungsbehörde für Einwanderung oder die Stelle zu Beobachtung und Koordination internationaler Bevölkerungsbewegungen? Im Moment sieht es eher danach aus, als würde in den nächsten 50 Jahren jedes Bett in Venedig ein Gästebett und die Stadt das Traumziel für asiatische Reisegruppen bzw. wohlhabende Familien, mit entsprechenden Versorgungs- und Servicestrukturen. (Auch bei der Rekrutierung für Verkaufs- und BeratungsmitarbeiterInnen für den Fondaco dei Tedeschi gehörte Mehrsprachigkeit zum Profil, neben englisch bevorzugt mandarin, russisch, japanisch, koreanisch.) 
Ich wünsche mir: keine Luxusbude, die kein/e VenezianerIn zum Leben braucht. Und die TouristInnen finden das Warenangebot im neuen Fondaco dei Tedeschi in jedem asiatischen Duty Free Shop. Für die Nutzung eines alten Gebäudes im Interesse der jeweils lebenden und arbeitenden Menschen genügt seine sorgfältige Instandhaltung inklusive aller historischen baulichen Veränderungen zum Besseren oder Schlechteren. Ich hoffe sehr, in 150 Jahren hat Venedig (sprich die Bürgerschaft) genug Humor, um über die OMA Umgestaltung nachträglich zu lachen, und ist so gefestigt in jeder Hinsicht, dass es auf "Transformationen" gegen seine eigenen Interessen entspannt verzichten kann.   

Nachdem schon vor Monaten das Aussengerüst abgebaut wurde, und ein still gehegter Wunschtraum augenscheinlich nicht in Erfüllung ging, kann ich ihn ja jetzt einräumen (im anderen Fall wäre "...genau das hatte ich mir vorgestellt...!" zu prahlerisch gewesen, um damit nachträglich rauszurücken):


Wäre es nicht eine Überlegung wert gewesen, die Süd- und Westfassade wie beim Wiederaufbau mit Malereien zu gestalten? Hat niemand daran gedacht? Nach dem Brand von 1505 beeilte sich bekanntlich die Serenissima, den Handelshof der deutschsprachigen Kaufleute schnell wieder aufzubauen. Schon 1508 war das neue Haus voll funktionsfähig. Zur Wahl sowohl Arbeitszeit sparender wie auch maßvoller Mittel gehörten nicht Verkleidungen aus istrischem Stein oder Marmor, sondern eben Fresken, deren kurze Lebensdauer in der venezianischen Salzluft bewusst in Kauf genommen wurde. Der junge Giorgione und der noch jüngere Tizian übernahmen den Job, ersterer die Südseite zum Canal Grande, letzterer die Westseite zur Gasse mit dem Haupteingang. 


Canaletto, Fondaco dei Tedeschi (Detail)
Auf dem Werk des 18. JHs sind die Fresken Giorgiones
an der Canal Grande-Seite noch schwach sichtbar.

Giorgio Vasari schreibt in seinen Künstlerbiographien ('Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten') bei der Biographie Giorgiones: 


"Im Jahre 1504 brach zu Venedig im Lagerhaus der Deutschen am Ponte del Rialto ein furchtbares Feuer aus, das jenes und alle Waren zum großen Schaden der Kaufleute zerstörte. Die Signoria von Venedig gab den Befehl, dass man es neu erbaue; es wurde mit bequemeren Wohnungen, mit größerer Würde und Pracht und schöner schleunigst erbaut. Giorgione, da dessen Ruf immer mehr gestiegen war, wurde dabei zu Rate gezogen und erhielt von dem Bauverweser den Auftrag, es in bunten Farben in Fresko zu bemalen, ganz nach eigenem Gefallen, wenn er nur sein Talent dabei kundgebe und an diesem schönsten und am meisten gesehenen Ort der Stadt ein hervorragendes Werk ausführe. Er legte Hand daran und malte, als Beweis seiner Kunst, lauter Phantasiegestalten; und tatsächlich findet man weder eine Folgerichtigkeit von Bildern, noch einzelne Begebenheiten aus dem Leben berühmter Personen des Altertums oder der neueren Zeit; ich für meinen Teil habe es nie verstehen können und auch auf meine Frage nach der Darstellung niemand gefunden, der es verstanden hätte. Denn hier ist ein Mann, dort eine Frau in verschiedenartigen Stellungen; neben dem einen sieht man ein Löwenhaupt, nebem dem anderen einen Engel, dem Cupido ähnlich, aber man weiss nicht, was es sein soll. Über dem Hauptportal nach der Merzeria zu ist eine Frau sitzend abgebildet, zu ihren Füßen ein Riesenhaupt, fast nach Art einer Judith; sie hebt den Kopf mit dem Schwerte empor und spricht zu einem Deutschen, der weiter nach unten steht. Weshalb diese Figur hier dargestellt ist, konnte ich nicht deuten, wenn er nicht eine Germania machen wollte. Im Ganzen erkennt man sehr wohl, dass die Figuren gut beisammen sind und dass Giorgione immer besser wurde, Köpfe und einzelne Teile der Gestalten sind gut gezeichnet und sehr lebendig koloriert, auch mühte er sich überall, die lebendigen Dinge gut aufs Korn zu nehmen ohne irgendwelche Nachahmung einer Manier. Dieses Werk ist in Venedig berühmt, nicht minder wegen der Malereien Giorgiones, als wegen der Bequemlichkeit des Warenlagers und seines öffentlichen Nutzens."

Die Sache ging schnell, das Gebäude hatte ein farbenfrohes, festliches Aussehen, die auftraggebende Signoria profitierte nicht nur bei den günstigen Kosten, sondern auch vom Image der beiden aufstrebenden Künstler. Junge wilde Künstler gefördert, großartige marketingwirksame Kunst am Rialto platziert, wichtige Wirtschaftpartner nachhaltig und großzügig beeindruckt!

Ach! Wie leicht hätte man auch jetzt zwei 20jährige, erfahrene und künstlerisch herausragende Mural-Künstler finden können. Was für eine Pracht wäre es gewesen, zwischen den Fensterreihen lebendige, zeitgenössische Kunstwerke zu sehen, bunt! Im Gegensatz zum öden Weiß, das sich immer weiter auf frisch restaurierten Gebäuden in Venedig ausbreitet. 

Egal, was sie gemacht hätten"...ganz nach eigenem Gefallen, wenn er nur sein Talent dabei kundgebe und an diesem schönsten und am meisten gesehenen Ort der Stadt ein hervorragendes Werk ausführe.

Sagt Vasari, sage ich. 


Mai 2016,  Dachterrasse fertig



Ein schöner und interessanter Artikel aus dem Umfeld des Themas und der Neuen Zürcher Zeitung:
László F. Földényi: Imagination einer Begegnung - Albrecht Dürer und Georgione in Venedig



Nachschlag: Eröffnung am 1.10. 9:30 Uhr

Dazu schreiben:

"Masken und Violinen" - ist das Ironie? "La modernità arriva a Venezia" MUSS sarkastisch sein, oder? Merkt die Autorin des Artikels der NY Times "In Venice, Duty-Free Shopping...", wie entlarvend ihr Artikel ist, aus anderer Perspektive gesehen? Der Moodie Davitt Report ist ein Business-to-Business Informationsmedium und reproduziert ungerührt die DFS-Marketingpoesie. Damit muss es jetzt auch mal gut sein mit der Werbung für den Laden, aus der die meisten Inhalte dieser Artikel bestehen. Sollte noch Kritisches im www auftauchen, wird es nachgereicht. Ebenso meine persönliche Meinung im November, falls ich das Bedürfnis haben sollte. 

Die erste der angekündigten Kulturveranstaltungen ist zur Eröffnung die Ausstellung "Memoria dell' acqua" des venezianischen Künstlers Fabrizio Plessi. Er ist VenedigbesucherInnen bekannt durch regelmäßige Ausstellungen, aber auch z. B. in diesem Sommer in Recklinghausen. Die Ausstellung läuft bis 15.1.2017.



Nachtrag 26.10.2016

Wolfgang Wagener hat per Mail am 24.10.17 seine Eindrücke per Mail gechickt und mir erlaubt, sie zu veröffentlichen. Damit sie nicht im Kommentarbereich übersehen werden, füge ich seinen Text innerhalb des Blogeintrags ein und danke nochmals herzlich für den Bericht:



Der Fondaco hat mich durchaus begeistert. Und zwar wegen des – wie Sie so schön geschrieben haben – „Kundenköders“: der Dachterrasse. Und vielleicht auch, weil ich Schlimmeres befürchtet hatte. Vor diesem Hintergrund finde ich den Bau nicht sehr verunstaltet. So, wie man oft über das Gedränge in den Gassen der Stadt hinwegsehen muss, kann ich problemlos die Luxuswaren ignorieren, und mit etwas Mühe auch die penetrante Dudel-Berieselung (die ist wirklich unpassend). 

Die Rolltreppen finde ich nicht extrem aufdringlich – es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Allerdings sind sie auch nichts Besonderes, eher schon Jugendstil – damit meine ich den Stil aus meiner Jugend, also den 50er und 60er Jahren, wo solche Hölzer auch schon in Mode waren, wie sie hier verwendet wurden. Also zeitlos bieder. Dagegen sind die Treppenhäuser schön schlicht – vielleicht in der ursprünglichen Form?

Die Aussicht von der Dachterrasse ist allerdings grandios. Und kostenlos. Und noch ist es nicht sehr voll. Es wird darauf hingewiesen, dass die Terrasse maximal 80 Personen trägt und man sich daher mit Wartezeit anmelden muss, doch bei drei Anläufen in der letzten Woche hätte ich nur einmal (mittags) 15 Minuten warten müssen. Am Sonntag davor standen allerdings kurze Schlangen vor den Eingängen zum Fondaco – vielleicht wegen der Terrasse. 
Aber dafür lässt die großzügige Warendekoration auch Raum für den offenen Zugang zu den Fenstern auf der Kanalseite. Da kann ich auch über einige Geschmacklosigkeiten (goldene Wände im Dachgeschoss) hinwegsehen.

Ob die Dachterrasse tatsächlich ein Kundenköder sein soll oder kann, wage ich zu bezweifeln. Denn das Sortiment richtet sich offensichtlich nur an Scheichs und russische Oligarchen (Schuhe für 900 €, Weine für 1.000 und 2.000 € usw.). Ich habe dementsprechend oberhalb des Erdgeschosses (wo immerhin die Sonnebrillen-Abteilung umlagert war) kaum Kunden, sehr viele Verkäuferinnen und Verkäufer und ansonsten nur Touristen gesehen. Ich befürchte aber, dass der freie Zugang zu Dach und Fenstern irgendwann eingeschränkt wird. Denn es wird sicher Probleme geben, wenn die Damen aus dem Geldadel Edel-Pumps anprobieren und sich zwischen ihnen kurzbehoste US-Touristen und japanische Reisegruppen mit Fotoapparaten (und deutsche Touristen wie ich) zu den Fenstern drängen, um ein Foto zu machen, und sich gleichzeitig vor den Eingängen die Warteschlangen für die Dachterrasse drängen. Aber momentan ist sie (noch fast) ein (Geheim-)Tipp, ein Ruhepunkt hoch über dem Gewimmel um Rialto. Bis die Terrasse in den ersten Reiseführern auftaucht...


Weiter mit dem Thema:

Fondaco dei Tedeschi - Ansichten, Aussichten vom 14.11.2016


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1 Kommentar:

Jan hat gesagt…

Das sieht natürlich wundervoll aus.