2. Juni 2017

Ganzkörperfoto auf Goldgrund?







Kann man haben, in diesem Sommer und Herbst in Venedig. Auch ein luxuriöses Selfy geht oder fotografische Experimente, einschließlich wechselnder Lichtbedingungen, kreativen Leuten fällt hier sicher eine Menge ein.

Goldgrund - Fondo oro - gibt es viel in der Kunst und der reichen Ausgestaltung Venedigs. Wo kann man besser als in S. Marco den Zauber erfahren, den geringstes Licht im Dunkeln auf Goldmosaiksteinchen entwickelt und, durch seine Glasauflage reflektiert, die starren Heiligen scheinbar zum Leben erweckt?
Das war jahrhundertelang die Theatralik byzantinischer Kirchen.

Die riesige Goldfläche, von der ich spreche, bedeckt den "Golden Tower" ein Skulpturenprojekt von James Lee Byars, entwickelt in Berlin in den 70er Jahren. Ich bin nicht die Letzte, die grinst, wenn mal wieder ein Mann - Architekt oder Künstler - ein reißerisches Symbol in ein Stadt- oder Landschaftsbild stellt, und dieses am Campo S. Vio ist wirklich enorm. Es verändert temporär nicht nur den Campo entscheidend, sondern den Gesamteindruck eines Abschnitts des Canal Grande. Das Symbol von Luxus, Macht und Erektion wird nicht nur Biennalebesucher*innen präsentiert, sondern allen Fahrgästen vorbeifahrender Vaporetti wie auch vielen Bewohner*innen oberer Etagen im weiten Umfeld, wer bleibt da unbeeindruckt? Trotzdem darf ich grinsen, denn hier beeindruckt nicht nur ein rein künstlerisches Bedürfnis.

Dennoch: mein persönlich erstes Gold war Blattgold. Ein Freund meines Großvaters war Steinmetz, hauptsächlich von Grabsteinen, und ich Vorschulkind hielt die Luft an, wenn er das kleine aber dicke Buch mit den Goldblättern öffnete, unter ein Blatt blies, das daraufhin zart flatterte, und es mit ruhiger Hand und einem Pinsel in gemeißelte Buchstabenkerben eines Namens setzte. Kein Kleben, kein Drücken, alles ruhig, weich, elegant mit den dicken Steinmetzhänden. Warmer Goldglanz auf Granit oder Marmor! Kostbar! Teuer!
Nie hätte ich von einer derartigen Masse und Fläche von applizierten Goldblättern geträumt. Im Film von designboom kann man (auch) die faszinierende Arbeit des Vergolders Lino Reduzzi beobachten. 


Scoletta dei Battioro e Tiraoro neben S. Stae

Die Bati e Tiraori, Goldschläger von Blattgold und Goldzieher von feinstem Golddraht bis hin zu Goldfäden zur Textiliengestaltung waren wichtige Hand- und Kunsthandwerker in der Republik Venedig, noch heute gibt es Goldschläger in Cannaregio. Die venezianischen Bati e Tiraori, auch die Silberschläger und -zieher (1773 32 Mitglieder, die in 9 Werkstätten arbeiteten) hatten ihre Scuola bzw. ihr Bruderschaftsgebäude neben der Kirche S. Stae. (Es gab auch eine Scuola der Bati e Tiraori Alemanni in S. Francesco della Vigna, 1773 104 Mitglieder aus 34 Werkstätten, unter ihnen übrigens viele Kölner.) 
Das barocke Gebäude in privater Hand ist gut erhalten und sehenswert und steht erfreulicherweise für Veranstaltungen zur Verfügung. Zur Zeit präsentiert sich dort zum ersten Mal Nigeria mit einem beeindruckenden Biennaleauftritt. Nicht alle Räume der Scoletta werden bespielt, die interessante Lösung offener Architektur auf quasi 3 Etagen ist trotzdem sichtbar.

Alle Berichte/Interviews zur Ausstellung Nigerias sind in englischer Sprache und lesenswert, die Ausstellung unbedingt sehenswert, vor allem die Filme (Zeit einplanen!):

Hyperallergic 29.05.
Nigeria's First-Ever Biennale Pavilion Challenges Colonial Narratives
Artsy 24.05.
Despite Obstacles, African Countries shine at the Venice Biennale
The Guardian 18.05.
Nigeria unveils first national pavilion at Venice art exhibition

CNN 12.05.
First Ever Nigerian Pavilian opens at the Venice Biennale
Contemporary and 11.05.
'How about now?'


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Zurück zum metallischen Leuchten und aufgerichteten Symbolen, nun jenseits von Luxus-, Macht- und sonstigen Gelüsten und jenseits des Canal Grande:

Die dunkle Seite des goldenen Strahlens kann man beim Besuch des nationalen Pavillons des Libanon "SamaS, Sonne schwarze Sonne" von Zad Moultaka im Arsenale Nord (also in eintrittsfreien Bereich des Arsenale) erahnen, kaum sehen, inklusive einer wunderbaren musikalischen Erfahrung. Daran wird man nicht vorbeigeschippert, man muss hingehen, und man sollte es  keinesfalls verpassen.
Die Installation in der stockdunklen Tesa 100 besteht aus 32 hochsensiblen Lautsprechern, einem gemischten a capella Chor, einem Mosaik aus Kupfermünzen und einem aufgerichteten Flugzeugmotor. Mehr wird hier nicht berichtet um nichts vorwegzunehmen, technische Details gibt es im Handzettel für Pavillonbesucher*innen.

Ein Link zum mythologischen Hintergrund: Samas, babylonischer Sonnengott.
Ein Link zu einer deutschsprachigen wissenschaftlichen Arbeit von Mathieu Ossendrijver zu Samas, inklusive eines Hymnus, wie er in der Ausstellung zu hören ist.

Die Vorstellung dauert 12 Minuten und läuft als Schleife. Entsprechend sollte man Zeit einplanen. Und sich auf ein einmaliges und überwältigendes Kunsterlebnis einstellen.


SamaS Sonne schwarze Sonne
von Zad Moultaka


Golden Tower: wer nahe ran will steigt  Haltestelle Accademia (Linien 1 und 2).
Pavillon Nigeria: Haltestelle S. Stae (nur Linie 1).
Pavillon Libanon: Haltestelle Bacini Linien 4.1, 4.2, 5.1, 5.2 und mit der kostenlosen Navetta, die zwischen Giardino delle Vergini und Arsenale Nord oder Novissimo (auch für Menschen ohne Biennaleticket) pendelt. Fährt alle 20 Minuten, Fahrplan siehe unten.



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