23. Juni 2017

Gegen große Schiffe



Das Ergebniss war zu erwarten. 18.105 abgegebene Stimmen, davon 98,72 % Zustimmung.

Die Venezianer*innen haben ein Referendum organisiert und am 18.6. über folgende Frage abgestimmt: 

"Willst du, dass die Kreuzfahrtschiffe aus der Lagune bleiben müssen und dass innerhalb der Lagune keine weiteren Fahrrinnen mehr ausgehoben werden?"

Stimmberechtigt waren unabhängig von Alter, Herkunft und Wohnort alle, die sich am letzten Sonntag an einem der Wahlpavillons einfanden. (Siehe Fotos in den Artikeln italienischer Medien unten.)

Global Project: 18:000 SI contro le grandi navi. Noi siamo Venezia!
Republicca: Venezia, referendum contro le grandi navi: oltre 20mila al voto
La Nuova: "Via le navi dalla laguna". In 18 mila a Venezia anno detto "sì"

Das war ein beeindruckendes Beispiel von bürgerlicher Initiative und überaus professionell organisiert und abgewickelt (soweit das Außenstehende beurteilen können und dürfen.) Aber selbstverständlich keine OFFIZIELLE Volksabstimmung, sondern eine der vielen kreativen und mutigen Aktionen der venezianischen Bürgerinitiativen der letzten Jahre (meine wenigen Einträge der letzten 5 Jahre zum Thema), die gegen die akute Bedrohung der alten Bausubstanz, der Bürgergesundheit und der Lagunenökologie kämpfen. 
Und damit nicht allein sind - von UNESCO, hochrangigen Stiftungen, Umweltorganisationen bis hin zur Kunstprominenz teilt eigentlich jeder Mensch, der bei Sinnen ist, dieses Anliegen.

Nicht natürlich Bürgermeister Brugnaro, der sich wie immer darauf beruft, dass die "Metropole" Venedig 260.000 Einwohner hat (er weiss ja, die 50.000 Bürger*innen der eigentlichen Stadt Venedig hätten ihn niemals auf den Bürgermeistermeisterstuhl gesetzt, den verdankt er den Stimmen vom Festland) und deshalb die Stimmen aus der Lagune gering schätzt. Und immer penetranter nennt er in seinen Verlautbarungen Mestre, Marghera und Kleinstädte auf dem Festland "Venedig". (Siehe Stuttgarter Zeitung 24.8.15)
Rein wahlmathematisch haben die eigentlichen Venezianer*innen, also die Bewohner*innen des Centro Storico und der Laguneninseln, keine Chance. 


Immerhin wurde auf der Website der Stadt Venedig eine Stellungnahme des Ministeriums für Kultur und Tourismus (Ilaria Borletti Buitoni) veröffentlicht, das wohl sein Geschwätz mildern soll:

"Das Resultat der Volksabstimmung, ohne beratende und keineswegs rechtsverbindliche Funktion, spricht deutlich und unerwartet umfassend gegen die Passage von Kreuzfahrtschiffen nicht nur durch das Becken von San Marco, sondern die ganze Lagune. 18.000 Venezianer, die so abstimmten, sind ein ganz erheblicher Teil der ohnehin schon reduzierten Bevölkerung, die in Venedig lebt und täglich unter den Auswirkungen eines unkontrollierten Tourismus leidet. Ein Ergebnis, das Politik und Verwaltung der Stadt bei anstehenden Entscheidungen nicht außen vor lassen kann. Die Lösungen - Grabung neuer Fahrrinnen, neue Gebäude, komplexe Umweltevaluationen - werden seit Jahren diskutiert. In der Zwischenzeit passieren die  Kreuzfahrtschiffe weiterhin das Becken von San Marco und gefährden den Status Venedigs als UNESCO-Stätte.Die Regierung quer duch alle zuständigen Ministerien und die Stadtverwaltung streiten weiter, obwohl das Problem keinen Aufschub duldet: eine Stadt, die jährlich von fast 30 Millionen Touristen besucht wird, kann es sich leisten, nachhaltige Tourismussegmente zu fördern und andere zu verbieten, die nichts zu schaffen haben mit der Pflege des venezianischen Kultur-, Kunst- und Identitätserbes. Ein durchdachtes Tourismuskonzept, das die ganze obere Adria einbezieht und die Besucherströme regelt, könnte Venedig aufatmen lassen -  nicht neue Hotels auf dem Festland oder Aufschiebung einer Lösung für die Kreuzfahrtschiffe im Interesse der großen Kreuzfahrtunternehmen, die die Zukunft Venedigs gefährden bzw. die Rettung dessen, was von Venedig noch übrig ist." 

Das ist weichgespülter Schmus, der wenig bis nichts bewirkt und kaum beratende und keineswegs rechtsverbindliche Funktion hat. Aber trotzdem möchte man hoffen und wünschen, dass es die initiativen Bürger*innen Venedigs ein bisschen ermutigt, nicht aufzugeben. 



In den deutschsprachigen Medien war aktuell dazu wenig zu finden. Österreich berichtet und die Schweiz bietet Optimismus als Unterstützung, während deutsche Medien unbeteiligt bleiben:

Nachrichten: Referendum gegen Kreuzfahrtschiffe in Venedig
Wiener Zeitung: Kreuzfahrtschiffe versenken
Kleine Zeitung: Hoher Zulauf bei Referendum gegen Kreuzfahrtschiffe in Venedig
Neue Zürcher Zeitung: "Wenn die Politik nicht reagiert, wird Venedig sterben"

Beiträge gab es auch auf englischen Websites: 

Travel Weekly: Unofficial Venice referendum finds opposition to large cruise ships
The Times: Residents vote to ban towering cruise ships from Venice
The Daily Telegraph: Venetians vote for prohibition of colossal cruise ships
The Telegraph: Venetians vote to ban giant cruise ships from their lagoon

Noch vor der Befragung am 18.6. hatte The Guardian wieder einmal auf das Problem hingewiesen mit einem Artikel zum venezianischen Status Weltkulturerbe: Venice world heritage status under threat
Wir kennen das schon, auch anderswo fehlte oder fehlt Stadtverantwortlichen die Klugheit, rechtzeitig die richtigen Entscheidungen zu treffen, siehe Dresden, siehe neuerdings Wien.

Die NoGrandiNavi-Bewegung hat eine gute und kreative Aktion durchgeführt und die gebührende Resonanz erzielt. Aber nach all den Jahren, während derer dieser Kampf um Macht und Gewinn auf Kosten der Bewohner*innen, der Umwelt und des Welterbes vor den Augen der Welt schon andauert, sinkt mein Optimismus und meine Hoffnung für die schönste Stadt. Leider.




Nachtrag 4.7.:
Ein interessanter Artikel: Debate over large ships rages on, as new plan emerges


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