Die nächste Baustelle - Piazza San Marco
Nächste Baustelle: die Alten Prokuratien an der Piazza San Marco, seit 1831 Sitz und seitdem peu à peu Besitz des Versicherungskonzerns Generali (der auch die zuvor beschriebene Restaurierung der Giardini Reali sponsort).
Es wird hier bereits seit Monaten quasi ohne Aufhebens gearbeitet (siehe den kurzen Film veröfentlicht in der NUOVA vom 4.10.) - nur ein kleines Baugerüst, ein kleiner Bauzaun auf der Piazza - bis Generali vor einem Monat eine Medienkampagne zur Gründung seiner gemeinnützungen (sprich steuersparenden) Initiative "The Human Safety Net" veranstaltete.
Aus meiner Sicht ist das viel Lärm um sehr sehr wenig - 30.000 Kinder armer Familien, die in ihren ersten 6 Lebensjahren kostenlos medizinisch versorgt werden, Finanzierung von 500 Start-up.Projekten ehemaliger Flüchtlinge, 1000 Neugeborene (insgesamt oder auf eine Bezugsgröße ist unklar), die dank der Weiterbildung von medizinischem Personal vor Sauerstoffnot während der Geburt bewahrt werden sollen.
Bescheidene Ziele für ein weltweites Programm eines enorm reichen internationalen Konzerns. Aber im Wesentlichen zielt "The Human Safety Net" wohl darauf ab, die gegenseitige (ehrenamtliche?) Unterstützung von Menschen und Gruppen untereinander in Schwung zu bringen. Ist das wohltätig? Ein Steuersparmodell? Marketing? Oder dies alles und Weiteres?
Diese kritische Anmerkung steht als kleiner Kontrapunkt zu den Lobeshymnen der Generali Medienkampagne und der teils leider unkritischen Übernahme der Textvorlage durch die verbreitenden Medien (deren Weiterbreitung ich eigentlich nicht betreiben will).
Siehe als deutschsprachiges Beispiel:
Presseportal: Generali Group plant Restaurierung des Zentrums von Venedig im Rahmen der globalen, gemeinnützigen Initiative "The Human Safety Net".
Das Projekt der Restaurierung und Neugestaltung der Alten Prokuratien ist dem bisher eigentlich hoch geschätzten David Chipperfield anvertraut, der in Venedig die Erweiterung des Friedhofs S. Michele und die Architekturbiennale 2012 verantwortete.
Sie beinhaltet die Innenräume (die in 500 Jahren häufige Veränderungen erlebt haben), die Öffnung von Innenhöfen, die Verbindung dieses nördlichen Teils der Piazza mit dem südlichen Teil durch den Zugang zu den Königlichen Gärten mittels Durchgang durch die procuratie nuove und die restaurierten Zugbrücke (oder Klappbrücke), alles schön zu sehen in den Projektbeschreibungen.
Generali, das alle Räume 'The Human Safety Net' überlässt und seine Büroräume aufs Festland nach Mogliano transferiert hat, verspricht Öffnung des Gebäudes "zum ersten Mal in 500 Jahren", öffentliche Ausstellungs- und Veranstaltungsräume, also Zugang für die Öffentlichkeit.
NICHT für die Öffentlichkeit, sondern nur für die 'interne' Nutzung geplant ist die bei der Baubehörde beantragte Genehmigung einer "Mega"-Dachterrasse analog der Terrasse auf dem Fondaco dei Tedesci. Kein Thema der Medienkampagne von Generali bzw. 'The Human Safety Net', aber bereits im August ein Aufreger der Lokalpresse (NUOVA vom 11.8.). Die Verhandlungen zwischen Generali und der 'Sopraintendenza', der obersten Baubehörde, sind weiterhin Thema (NUOVA vom 8.10.). Es wird berichtet, dass die Behörde unentschlossen sei.
Die Argumente sind divers angefangen von den hohen Summen, die Generali in die Restaurierung der königlichen Gärten und der Prokuratien investiert (und die Genehmigung einer Dachterrasse zur rein privaten Nutzung quasi kaum ablehnbar und ein Gegengeschenk sei?), über die fatale Genehmigung der Terrasse auf dem Fondaco dei Tedeschi, die künftige Ablehnungen derartiger Anträge erschwert, über die schon vorhandenen kleinen Altane auf dem Dach, die mit der geplanten großen, erhöhten Dachterrasse mit Brüstung nur "zusammengeführt" werden sollten, bis zur fragwürdigen privaten Nutznießung eines historischen Erbes und Gemeingutes aller Bürger.
Die Präsidentin der italienischen NGO Italia Nostra, die Historikerin Dr. Lidia Fersuoch, fragt in einem Schreiben an die Baubehörde: "Soll diese überdimensionierte Terrasse über dem Markusplatz eine Messingbrüstung bekommen? Oder bevorzugt Chipperfield Zementbaluster? Installiert vor oder hinter der Mauerkrone aus istrischem Marmor, die 1517 Giuglielmo de Grigis genannt il Bergamasco, laut Beleg des Archivs der Prokuratoren von San Marco de Supra dort anbringen ließ? Zittert der Person, die diese Genehmigung unterschreibt, dabei nicht die Hand?"
Sie merkt an, dass Generali das erste venezianische Großunternehmen war, das schon vor Jahren komplett auf Festland zog "in den Jahren, als der Tourismus noch maßvoll war und die Lagune dringend den Erhalt von Wirtschaftskräften benötigte. Jetzt kommt Generali zurück mit einem Heiligenschein und verwandelt den historischen Standort in einen Ort seiner Repräsentation. Was für einen enormen Wert schenken wir Generali mit der Genehmigung einer atemberaubenden Terrasse über der Piazza, die jedes Land ablehnen würde, das sein kulturelles Erbe schützt?"
Auch schön: Generali-Niederlassung in Brüssel mit Markuslöwen und Street Art |
Weitere Links zu Veröffentlichungen zum Thema, alle ca. 4 Wochen alt:
David Chipperfield Architect: Major new project announded in Venice
driven x design: Repair and reconfiguration of the Procuratie Vecchie on the Piazza San Marco in Venice (Detailinformationen ohne Schmus zum 'Human Safety Net'
Dezeen: David Chipperfiel to restore historic palace on Venice's Piazza San Marco (Artikel, der sowohl auf Details der Restaurierung als auch der Opposition David Chipperfields zum Brexit eingeht.)
Il Sole 24 Ore: A Venezia Chipperfield disegna per Generali gli spazi dell'hub sociale nelle Procuratie vecchie (Artikel, der sich auch auf die Neugestaltung der Fondaco dei Tedeschi durch OMA und des Negozio Olivetti - im Gebäudetrakt der Procuratie vecchie - durch Carlo Scarpa bezieht.)
Italia Nostra: Le nuove Procuratie Vecchie (eine Sammlung von Artikeln zur beantragten Dachterrasse)
Ergänzung 13.2.2018
La Nuova: Le procuratie Vecchie aspettano Chipperfield
und eine Website zum Thema:
Associazione Piazza San Marco
Ergänzung 15.5.2018
La Nuova: Nuove accessi e terrazze per le Procuratie Vecchie
Ergänzung 19.12.2018
Lange Jahre in Vorbereitung, jetzt vollendet: seit dieser Woche hat die Stiftung Ermitage Italia eine Sitz in Venedig: laut Associazione Piazza San Marco mietkostenfrei (bei Übernahme von Nebenkosten bzw. Verbrauch) in den restaurierten Räumen der Procuratie Vecchie, mit einem zunächst 9jährigen Vertrag. (Auch der Vertrag für S. Lorenzo zur Nutzung durch die TBA21-Academy läuft zunächst nur 9 Jahre, das scheint venezianischer Standard zu sein.) Information der Stadt Venedig und bei RAI News.
Auf 140 m2 gibt es je einen Präsentations- und Konferenzraum sowie 2 Arbeitsräume für bis zu 12 europäischen Stipendiaten, nicht opulent, aber wer kann schon an der Piazza San Marco studieren und forschen?!
Das Kooperationsprojekt der Staaten Italien und Russland hat seinen Hauptsitz in Ferrara, jetzt das Standbein an der Piazza S. Marco und soeben die erste Koperations- bzw. Austauschausstellung in der Ermitage St. Petersburg und dem Palazzo Fortuny in Venedig (19.12.-24.3.2019) und dem Centro Culturale Candiani in Mestre (18.12.-24.3.2019).
Ergänzung 10.06.19
Ein neuer Artikel von Artribune stellt das Projekt zum internen Umbau der Procuratie Vecchie vor, als sei es eine ganz aktuelle Sache und als würde nicht seit mindestens 2 Jahren daran gearbeitet: "Venezia, al via il rilancio delle Procuratie Vecchie di Chipperfield Architects". Der Text ist in erster Linie Public Relations und quasi unkommentierte Widergabe einer Presseveröffentlichung.
Während der Biennale. 8.5.-24.11., ist in fertig gestellten Räumen der 1. Etage, die nach Abschluss des Umbaus als Büroflächen vermietet werden sollen, die Ausstellung "Diversity for Peace!" zu sehen. Eine Sammelausstellung junger internationaler Künstler*innen von Karuizawa New Art Museum und Venice Art Factory. (Informationen zur Ausstellung.)
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen