1. September 2020

3 restaurierte Kirchen in San Marco und ein Fund auf Torcello

San Bartolomeo, Salizada Pio X am Fuß der Rialtobrücke.
Portal zwischen Schaufenstern 

Mehr als 30 von ca. 100 Kirchen in Venedig stehen ungenutzt, die Immobilien  wie auch der dort vorhandene Schatz an Kunstwerken und Belegen venezianischer Geschichte rotten unbewundert langsam vor sich hin. Auch wenn sie profaniert wurden, gehören die Kirchen noch dem Patriarchat Venedig, das mit der Pflege dieses Eigentums materiell und fachlich überfordert ist.
2017  beschloss man die Konservierung und Umnutzung der Kirchen Schritt für Schritt. Siehe 2.2.17 La Nuova: "Chiese abbandonate?: Diventiono luoghi di lavoro adottati dalle imprese" und 7.4.17 Veneto e Economia: "Venezia, nuovi usi per 30 chiese abbandonate: cultura, carità ed eventi". 

Die wissenschaftliche Unterstützung des Projekts wird von der Universität IUAV bereitgestellt, finanzielle Unterstützung ist in Venedig, wie wir wissen, breit gestreut durch Stiftungen (siehe die Liste von Venedig-Förderer-Stiftungen im Eintrag vom 27.10.2016: L'Aqua Granda 1966-2016). Auch die öffentliche italienische Kulturförderplattform Artbonus, die auch Bürger*innen gegen Steuererleichterung die Beteiligung an der Kunstrettung ermöglicht, wurde diesem kirchlichen Projekt geöffnet. (Artbonus hat sich zuletzt an der Restaurierung der königlichen Gärten beteiligt und unterstützt derzeit die Restaurierung der Longhenatreppe auf S. Giorgio Maggiore).
Von den staatlichen Mitteln, die nach dem Hochwassersturm vom 12.11.19 Venedig von den Brugnaro-zitierten "Knien" wieder auf die Beine helfen soll, blieben auch vergleichsweise beachtliche Summen bei Restaurationsprojekten hängen. 

Start ups wie Serendpt nutzen mittlerweile Kirchen als Firmensitz (siehe Eintrag vom 30.12.2018 "Neueste Führung für Fortgeschrittene - postindustrielle Giudecca".
Die Restaurierung von San Lorenzo wurde zunächst von Mexico als Biennale-Pavillon gestartet, dann von der TBA21-Academy übernommen, beeindruckend gestaltet und wird seit 2019 als Stiftungssitz und Veranstaltungsraum genutzt. Zwei Beispiele, die mir ganz besonders gefallen.


Jetzt wird durch den Verantwortlichen für das Kulturerbe der Kurie, GianMatteo Caputo, für die nächsten Wochen die Wiedereröfnnung dreier weiterer Kirchen angekündigt: San Beneto, San Fantin und San Bartolomeo. Alle drei im Sestiere San Marco gelegen.
Wobei die Eröffnung von San Beneto nicht ganz frisch ist: schon im Dezember 2018 wurde sie feierlich für kulturelle Zwecke übergeben (11.12.18: San Beneto restauriert und geöffnet), aber eine regelmäßige Nutzung war zunächst nicht drin (siehe Leserkommentare unter dem Eintrag) - es ging um die Holzwurmbehandlung vor allem der Bänke! Die dann in der Hochwassernacht in im Salzwasser versanken und aufs Neue behandelt werden mussten. Die neue Ankündigung lässt Hoffnung schöpfen, dass dort demnächst (covid-19-angepasst...) Kunstveranstaltungen mit entsprechenden Öffnungszeiten genossen werden können.

San Fantin ist die Kirche gegenüber dem Haupteingang des Teatro La Fenice, zu dem auch die ehemalige Scuola San Fantin, das heutige Ateneo Veneto, gehört. Siehe Eintrag vom 23.11.17 "Neue Führung für Fortgeschrittene: Ateneo Veneto". Sie war in den letzten Jahrzehnten dauerhaft geschlossen, auch die Webseite, auf der San Fantin von der Biennale als Ausstellungsraum angeboten wird, zeigt kleinlich quasi nichts. Zweimal wurde San Fantin vermietet: für die Biennaleausstellung der Ukraine 2011: Oksana Mas' Orgie buntbemalter Eier im ansonsten abgedunkelten Kirchenraum und 2019 ein Theater/ Film/ Ausstellungsprojekt "There is a Beginning in the End" des Pushkin Museums. Eine Veranstaltung (auch diesmal im abgedunkelten Raum), die zum Teil leider an mich verschwendet war - hat mich nicht gepackt. 

San Bartolomeo ist die berühmte Kirche der deutschsprachigen Venezianier*innen und der Gäste im Fondaco Tedesco, ein paar Schritte weiter. Man geht leicht am Holzportal ohne eigene Fassade innerhalb einer Schaufensterreihe vorbei, aber das Innere, ehemals überreich ausgestattet, z. B. mit dem Auftragswerk der deutschen Kaufleute "Rosenkranzfest" von Albrecht Dürer, muss immer noch sehr beeindruckend sein.
Nach der eingehenden Restaurierung fand hier 1994 eine kleine Tintorettoausstellung mit Werken aus venezianischen Kirchen statt und 2011 eine internationale Konferenz zum Gebäude und zur deutschen Kirchengemeinde, außerdem wenige Konzerte. Keine weiteren Ausstellungen meines Wissens. 
Marcianum Press hat in seiner Reihe Chiese di Venezia auch ein Buch zu San Bartolomeo veröffentlicht. Dazu gibt es eine gute Besprechung von Tobias Daniels in den "Sehepunkten".

(Der Vollständigkeit halber: die protestantischen deutschsprachigen Kaufleute nutzten für ihre Gemeinde zunächst einen Raum im Fondaco Tedesco und erwarben später, ein paar Schritte weiter, die ehemalige Scuola San Angelo Custode als ihre Kirche. Siehe auch Eintrag vom 5.2.17 "Lutherjahr - Venedig ist Reformationsstadt Europas".



Die Wiedereröffnung der Kirchen war allerdings nur eine zusätzliche Information bei der Pressekonferenz am 24.7. des Patriarchats zur eigentlichen Sensation: der Entdeckung karolingischer Fresken bei den archäologischen Forschungen auf Torcello! Wow! Als eine der Folgen des Hochwassersturms vom 12.11.2019. Da!
Die Grabungen finden unter Verantwortung des Patriarchats und weitgehender Finanzierung von Save Venice statt. 
Das wissenschaftliche Wunder bleibt natürlich nicht undiskutiert, ist darüberhinaus dem Publikum erstmal nicht zugänglich, aber ich wollte nicht darauf verzichten, darüber zu berichten.

Ich habe wenig Deutschsprachiges dazu gefunden: 
* 24.7.20 Nach-Welt Venedig hat karolingischen und nicht-byzantinischen Ursprung. Dies zeigen die heute gefundenen Fresken aus dem 9. Jahrhundert.
* 24.7.20 Vatican News Restaurierung nach Venedig-Hochwasser bringt Fresken zutage

Italienische Medien berichten ausführlicher und mit vielen Illustrationen (hier nur eine kleine Auswahl!): 
* 24.7.20 La Repubblica Venezia ha origine karolinge en non bizantine. Lo rivelango gli affreschi del IX secolo ora ritrovati
* 24.7.20 Ca' Foscari News La scoperte degli affreschi di Torcello
* 27.7.20 metropolitano.it Gli affreschi medievali di Torcello riscrivono la storia di Venezia
* 28.7.20 Storica National Geographic Rinvenute a Venezia affreschi del IX e X secolo
* 5.8.20 #contagio arte cultura Gli affreschi scoperti a Torcello: una Venezia carolingia?






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