19. Juni 2020

Venedig feiert den Neubeginn




Quelle: Comune Venezia

Wie sonst könnte man in Venedig ein Jubelfest veranstalten? Mit einer Bootsparade durch alle Sestieri der Stadt. Mit der Vogada di Rinascita, zu der alle Venezianer*innen für den 21.6. eingeladen sind, die rudern können - am liebsten die venezianische Voga - und über ein Boot verfügen, eigenes, geliehenes, Vereinsboot... 

Venedig war 4 Monate stillgelegt, dazu gehört auch die Regattensaison, ein wichtiger Aspekt des aktiven venezianischen Sports und Soziallebens. Auch auf die vielgeliebte Vogalonga musste verzichtet werden. Aber nun fällt der Startschuss, veranstaltet vom Panathlonclub und der Stadt Venedig. Jede*r einzelne Ruder*in musste bis heute Abend online namentlich angemeldet sein, die Boote sammeln sich am Sonntagmorgen ab 10:15 Uhr im großen Becken des Arsenale. Abfahrt um 11 Uhr, die Ruder*innen werden begleitet von den Musiker*innen des Gran Teatro la Fenice, die die Zeremonien an 3 Haltestellen musikalisch begleiten. 
Erstes Ziel  (11:20 Uhr) ist das Ospedale Civile mit Alzaremi (feierliches gemeinsames Aufrichten der Ruder aus dem Wasser) zu Ehren der Opfer der Pandemie und der Menschen, die im Krankenhaus arbeiten. Danach Fahrt der Parade entlang der Fondamente Nove, Einfahrt in den Rio di Cannaregio (12 Uhr), und Halt mit erneutem Alzaremi beim 2. Ziel, dem Centro Servizi di San Giobbe, einem großen Altenpflegeheim. Weiterfahrt 12:20 Uhr, Fahrt der Parade durch den Canal Grande und Ankunft 12:50 Uhr bei der Salutekirche, Votivgabe der Republik Venedig an die Madonna della Salute nach dem Ende der Pestepidemie von 1630. Ein schöner Plan, der keine Symbolik unberücksichtigt lässt!

Das detaillierte Gesamtprogramm (auch das musikalische) steht in Metropolitano.it vom 18.6..


Quelle: La Nuova

Die Vogada di Rinascita, offiziell und aufwändig vorbereitet, ist sicher vor allem ein Ausdruck der Freude, dass die Isolation der Stadt und aller ihrer Bewohner*innen zu Ende ist und das gemeinsame Leben wieder genossen werden kann. Die Venezianer*innen kennen sich ja untereinander quasi alle, und für die ausgefallenen Feste des Frühlungs ist eine Bootsparade eine kleine Entschädigung. 
Aber natürlich ist es auch eine Marketingmaßnahme der Stadt und des Tourismusgewerbes, die nichts unversucht lassen, so schnell wie möglich wieder die Gassen, Restaurants und Betten zu füllen. Wenn am Sonntagabend in allen Nachrichtensendungen der Welt (und dafür wird vorgesorgt sein) Bilder von rudernden, jubelnden, trubelnden Venezianer*innen in Parade zu sehen sind, sollten die Schreckensnachrichten der letzten Monate übertrumpft werden, oder? 

Die diversen Bürgerinitiativen haben letzten Samstag noch eine große Demonstration an den Zattere veranstaltet, gegen große Schiffe, gegen Massentourismus, für eine menschliche Stadt der Bürger*innen mit rücksichtsvollem Tourismus. Sie hoffen, dass 4 Monate Ruhe in der Stadt Optionen der Veränderung zeigen. Es gefiele mir, wenn sie sich am Sonntag nicht vereinnehmen liessen indem sie in den kostenlos zur Verfügung gestellten Rinascita-Werbehemden, -hüten, -fähnchen paradieren, sondern diese PR-Gelegenheit aktiv nutzten, ihre wichtigen Forderungen nachdrücklich medial zu vertreten.     


Quelle: SkySport

Nachtrag 22.6.
Hier zeigt sich: in Fragen venezianischer Feierlichkeiten bin ich nicht kompetent. Die Erfahrung der großen Sachen wie Redentore, Regata Storica und Carnevale sowieso habe ich bisher gemieden. Wenn ich "Parade" höre, denke ich an den Kölner Karnevalszoch und die ebenso kölsche Gay Pride oder die 2fach jährlichen nationalen Paraden Griechenlands. Aber so geht das nicht in Venedig. Die einzige jubelnde und trubelnde Person gestern war der notorische Bürgermeister Brugnaro, der wie immer keine Kamera davonkommen liess ohne hampelnd einen Wortschwall zu platzieren. Und der nicht auf enge Körperkontakte per Ellenbogen verzichtete, z. B. mit den Mitarbeiter*innen des Ospedale Civile. Denn venezianische Bürgermeister stehen, wie amerikanische Präsidenten, über allgemein verbindlichen Regeln. 

Alle anderen Teilnehmer*innen in den ca. 200 Booten der Vogada tun, worum es geht: sie rudern. Hintereinander stehend. (Sitzend: die Mitglieder des Kayak Clubs.) Auf jeden Fall schweigend ob einzeln oder im Team, und als Team konzentriert auf den gemeinsamen Arbeitsrhythmus. Da es nicht um eine Regatta ging, waren das die typisch venezianischen ruhigen Ruderschläge, bei deren Anblick man sofort die Lieder der Lagune im Ohr hat oder zumindest die Barcarole von Offenbach. Ich habe die ganze Vogada auf der Webcam gegenüber von S. Angelo gesehen und war bewegt von dem Eindruck rhythmischer steter Bewegungen in den Booten, alle beharrlich unaufgeregt auf das gleiche Ziel hin. Ein schöner Anblick von gemeinsamer Zielstrebigkeit.

Diese "offiziell" organisierte Vogada, zu der man auch den katholischen Patriarchen und die Botschafter der US, Frankreichs und Japans mit ins Boot genommen hatte, wurde im wesentlichen von den Sportclubs der Stadt in Vereinskleidung getragen, nicht von individuellen Teilnehmer*innen. Junge Musiker*innen des Conservatorio Benedetto Marcello spielten vor dem Start im Arsenale und der Chor des Teatro Fenice traten mit mehreren Stücken am Ende der Vogada, auf den Stufen der Salutekirche auf.

Nachtrag 27.6.
Authentischer Bericht von Erla Zwinglis Blog "I'm not making this up"


Quelle: SkySport



Einträge zur Situation Covid 19 in Venedig:

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